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Afghanische Flüchtlinge

Mittwoch um 10! am 1. Dezember 2021

 

Guten Morgen,

Nachrichten, Ansichten, Aussichten,

Corona ohne Ende

mit neuer Variation

Impfpflicht

Lockdown

Verordnungen

Forderungen

Meinungen

wichtigtuerische Aufgeregtheit

zeugt von Ratlosigkeit

wie viele Buchstaben hat das griechische Alphabet, wann endlich kommt das Omega?

Endlosschleife…

Und heute eine ganz andere Geschichte:

2013

afghanische Flüchtlinge kommen nach Hohenwart

zwanzig sehr verschiedene junge Männer in einer Unterkunft zusammengewürfelt,

verstört, erschöpft, traumatisiert, in einer fremden Kultur,

bald organisieren die sich so

dass sie irgendwie miteinander funktionieren

Deutschkurs – ich unterrichte die Analphabeten

sie können zweidrei deutsche Wörter

ich einzwei DariWörter

und erstaunlicherweise gelingt allmählich Verständigung mit Blicken, Gesten, Pantomime, Lachen..

eine kleine Gruppe, die als Fixpunkt besteht, bis CoronaQuarantäne sie 2020 beendet…

Anonymus (will ich ihn hier nennen) beginnt irgendwann,

mit seinen Fragen und Problemen zu mir zu kommen,

allmählich auch mit seiner Geschichte –

als 15 jähriger Jugendlicher trotz aller Vorsichtsmaßnahmen von den Taliban gezwungen,

an deren Aktionen teil zu nehmen, bis ihm die Flucht in den Iran gelingt,

auf Großbaustellen in ständiger Angst und Not, 15 Jahre nur noch sporadisch zu Hause,

schwer traumatisiert, mit Panikattacken, die ihn schreiend aus seinen Alpträumem reißen…

wir werden vertrauter

er beginnt, mir im Garten zu helfen,

ich fahre ihn zu allen möglichen Ärzten

fange an, Teil zu haben, Anteil zu nehmen,

seine EntWicklung zu begleiten

seine Lage zu verstehen,

die zermürbende Situation

Aufenthaltsgenehmigung zugesagt – abgelehnt –

neues Verfahren, liegt auf Eis,

warten, hingehalten, vertröstet, Anhörung,

neues Verfahren, abgelehnt,

warten, hingehalten, vertröstet,

die telefonischen Kontakte mit der Familie in Afghanistan,

mit der Mutter, dem Vater, der Frau, den Brüdern,

mal möglich, mal wochenlang kein Strom,

Bomben, Krieg, Terror, Angst, Sorge, Heimweh, Fremdeln, die ständigen Begleiter,

endlich darf er arbeiten,

nach seinen verheerenden Erfahrungen bei seinen Fluchten in den Iran

ist er zutiefst beeindruckt von den deutschen Sicherheitsbedingungen

Helm, Schuhe, Handschuhe, Brille, Netze – für die Arbeiter, dem Schutz von MenschenLeben!

wird er bald für den Chef unentbehrlich

GebrauchtWerden, Anerkennung, die ihm hilft, sich zurecht zu finden,

sich einzugewöhnen, vollends anzukommen –

und keine Chance, seine Frau nach zu holen

2015 kommen weitere 20 junge Afghanen

die neue Flüchtlingswelle bringt verwirrende Einschränkungen,

die Bedingungen werden für die Flüchtlinge, „Mutter aller Probleme“, immer schwieriger,

die Bestimmungen immer enger, die betreuenden Behörden immer chaotischer,

Aufenthaltsgenehmigungen immmer kürzer,

KollegenKameraden verschwinden,

tauchen aus Angst, in einem AnkerZentrum zu landen, nach Frankreich ab,

werden im Morgengrauen zur Abschiebung abgeholt,

ins „sichere Herkunftsland“ oder ins flüchtlingsfeindliche Ungarn gebracht,

die Aufbruchstsimmung vom Beginn ist längst abgelöst

von Angst, Sorgen, Panik, Bedrückung, Verunsicherung, Trostlosigkeit,

einzig die Arbeit, in die sich alle willig stürzen,

bedeutet ein paar Stunden Ablenkung aus der Misere,

die jungen Männer werden gereizt, feindselig,

Anonymus hat sich so gut eingearbeitet, Stütze vom Chef,

arbeitet er oft rund um die Uhr

noch immer auf dem Schleudersitz,

jederzeit im Flieger nach Kabul zu landen

irgendwann erzählt er von seinen Suizidgedanken:

lieber ein mal in Deutschland sterben, als nach Afghanistan abgeschoben,

von den Taliban verfolgt, 100 mal sterben…

mir wird ganz schwindlig, als ich verstehe, dass er damit ein paar mal am haardünnen Faden hing…

dann 2021

das Jahr, das alles ändert, ihn vollends an seine Grenzen bringt,

im Juni stirbt seine Mutter nach schwerer Krankheit in Afghanistan,

im Juli folgt überraschend der Vater,

Anonymus Frau, die bei seinen Eltern lebte,

findet Zuflucht bei ihren Eltern-

im August ziehen sich die NATO-Soldaten zurück,

flugs beherrschen die Taliban das Land –

Horrornachrichten von den Brüdern,

junge alleinstehende Frauen werden abgeholt und zwangsverheiratet,

eine Bedrohung, Vorstellung, die Anonymus den Schlaf raubt,

ihn verfolgt, nicht mehr zur Ruhe kommen lässt,

ihn schwächt, zermürbt, körperlich schmerzt,

seine Ärztin schreibt ihn für eine Woche krank, ein paar Ruhetage,

die ihm tatsächlich wieder Boden unter die Füße geben,

danach wieder unverzagt und guter Dinge, trotzt er Kälte und Schneegestöber

und gestern die Nachricht, das ewig schwebende Verfahren,

seine Gerichtsverhandlung war erfolgreich,

sein subsidiärer Schutz ist anerkannt und zugesprochen

und jetzt hat er als Steuerzahler, Sozialversicherter, Arbeitnehmer, Geimpfter,

den subsidiären Schutz, sich hier so weit sicher zu fühlen,

dass er ein Bleiberecht hat, Anrecht auf einen gültigen Ausweis,

der ihn berechtigt, zu reisen, in einem Nachbarland von Afghanistan seine Frau zu treffen,

die Zuversicht zu nähren, ihren Nachzug nach Deutschland zu bewerkstelligen!

Nach neun (9) Jahren!

Ich schreibe das heute, damit es für mich Wirklichkeit wird –

nach all den Silberstreifen am Horizont,

die sich immer und immer wieder verdunkelt, vernebelt, verfinstert,

verflüchtigt haben in den vergangenen Jahren,

sickert diese erfreuliche Nachricht sehr zögernd und langsam in meine WahrNehmung.

Mit dem Schreiben fängt sie an Wirklichkeit zu werden.

Und vielleicht wirkt sie erleichternd, erhellend, befreiend auch auf Deine Stimmung….?

Das wünsche ich Dir

herzlich

uTa


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